Wie bewusst lebe ich als Verwaltungsrat meine Aufgaben und Verantwortungen?

Unser Leben ist in den letzten 10 Jahren schneller, komplexer und gefühlt anspruchsvoller geworden. Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Covid Krise und den globalen Verwerfungen aufgrund des Krieges in der Ukraine lernten uns: Was heute gilt, kann sich bereits morgen als komplett falsch erweisen! Diese neue, spannende, jedoch auch sehr herausfordernde Ausgangslage hat die Aufgaben und Verantwortungen eines Verwaltungsrates massiv verändert.

 

Behalte ich den Überblick – kann ich alle Bälle zur rechten Zeit in der Luft halten?

 

Ich sehe in vielen Verwaltungsratsgremien, aber auch auf Seite der Eigentümer, dass sich nicht alle mit dem Thema der nicht delegierbaren Aufgaben regelmässig, strukturiert und transparent auseinandersetzen. Was sind konkret diese Aufgaben?

  1. Oberleitung der Gesellschaft.
  2. Festlegen der Organisation.
  3. Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzplanung und -kontrolle.
  4. Ernennung und Abberufung der Geschäftsleitung.
  5. Oberaufsicht über die mit der Geschäftsführung betrauten Personen.
  6. Erstellen Geschäftsbericht, Vorbereitung GV und ausführen GV-Beschlüsse.
  7. Benachrichtigen Richter bei Überschuldung.

 

 

Was sehen wir häufig in der täglichen Praxis?

 

Die Praxis zeigt eine extreme Bandbreite zwischen den verschiedenen Verwaltungsratsgremien.

 

Einmal jährlich, bei der Abnahme der Jahresrechnung an der Generalversammlung, sollte der Verwaltungsrat «qualifiziert» werden. Bei dieser Qualifikation sollte nicht nur der finanzielle Teil beurteilt werden, sondern auch die übrigen Bereiche der strategischen Unternehmensführung. Werden diese Ziele umfassend erfüllt, steht einer Erteilung der Décharge durch die Generalversammlung nichts im Wege. Wir sehen in der Praxis sehr unterschiedliche Ansätze, wie mit diesem Thema umgegangen wird:

Ansatz 1
Da es in den letzten Jahren nie ein grosses Thema an der Generalversammlung war, wird «es sicher auch dieses Jahr so sein».

Ansatz 2
Wir sind eine private Unternehmung und kennen uns alle sehr gut. Eine formelle Erteilung der Decharge ist «etwas» für grössere und sogar börsenkotierte Firmen.

Ansatz 3
Als Vorbereitung auf die Generalversammlung treffen sich die Eigentümer, Verwaltungsräte und Mitglieder der Geschäftsleitung für eine systematische und transparente Analyse:

  • Haben wir unsere finanziellen und strategischen Ziele erreicht? Sprechen «alle vom Gleichen»?
  • Warum wurden die Ziele übertroffen oder nicht erreicht?
  • Was sind die Konsequenzen? Welche Massnahmen haben wir eingeleitet?
  • Fahren wir als Unternehmung noch die richtige Strategie und kennen wir alle unsere Risiken? Können wir die Abhängigkeiten und Konsequenzen abschätzen?

Wir sehen immer wieder bei Unternehmen, welche sich neu gezielt mit diesen Themen transparent auseinandersetzen, dass die Summe der kleinen Missverständnisse oder die unterschiedlichen Einschätzungen sich über die Jahre massiv addieren. Statt sich mit dem grossen Bild kritisch auseinander zu setzen, stehen bei vielen Diskussion die täglichen operativen Themen zentral im Mittelpunkt.

Es ist vergleichbar mit den Jahresabschlüssen einer Unternehmung über 5 Jahre. Wenn der Jahresabschluss jedes Jahr ein paar kleinere Buchhaltungsfehler aufweist, kann sich dies auf die Jahre massiv auswirken. Keiner ist sich dem bewusst, bis bei der «Stunde null» die Rechnung bezahlt werden muss!

 

Was wäre aus meiner Sicht die «perfekte Welt»?

 

 

Ganz klar die Variante 3. Bei der kritischen Prüfung durch die Eigentümer, ob der Verwaltungsrat die nicht delegierbaren Aufgaben aktiv gemanaged hat und die Ziele erreicht wurden, ergibt sich eine tolle Chance, die ganze Unternehmung kritisch anzuschauen. Dabei sollen die Standpunkte und Erwartungen der Eigentümer, Verwaltungsräte und Mitglieder der Geschäftsleitung eingebracht werden. Dieser Prozess ist für alle Beteiligten äusserst wertvoll. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Unternehmung an einer Börse kotiert ist oder nicht. Der positive Effekt bleibt. Es ändern sich nur die Komplexität und die Tiefe der Analyse.

Interessant ist bei vielen Gesprächen mit Unternehmern, dass «man» sich eigentlich einig ist, dass es diesen Prozess braucht und er einen hohen Mehrwert bietet.  Allein die Motivation, dass sich alle verantwortlichen Personen präzise und konkret vorbereiten, bietet einen grossen Mehrwert. Diese Vorbereitung, in Kombination mit den Diskussionen, zahlen sich immer aus. Trotz dieser Erkenntnis scheuen vielen den Aufwand oder die Diskussionen, welche zu Unstimmigkeiten führen könnten.

 

 

Wie kann ich als Eigentümer oder Verwaltungsrat am besten vorgehen um bei der Erteilung der Décharge das beste Kosten/Nutzen Verhältnis für alle zu erreichen?

 

 

Mit wenig Aufwand ein tolles Ergebnis erzielen!

 

1  Der Eigentümer muss wissen, welche Resultate und Ziele er vom Zusammentreffen der verschiedenen Gremien für die Erreichung der Décharge erwartet
Jedes Meeting braucht zwingend einen Verantwortlichen. Es ist aus Erfahrung eine Riesendifferenz, ob bei diesen Meetings der Eigentümer im Lead ist oder der Verwaltungsratspräsident. Aus meiner Sicht muss die Verantwortung hier klar beim Eigentümer liegen. Er muss sich die Zeit für die Vorbereitung und Durchführung des Meetings nehmen. Welche Chancen bieten sich:

  • Alle für den Erfolg der Unternehmung Verantwortlichen sprechen zusammen an einem Tisch
  • Themen dürfen und müssen angesprochen werden
  • Es wird über Fakten und nicht über Erwartungen, Ideen und Meinungen gesprochen, welche irgendwo im Raum stehen
  • Bei umstrittenen Themen muss ein gemeinsamer Konsens entwickelt werden

2  Der Eigentümer muss die Teilnehmenden definieren
Der Eigentümer trägt die Verantwortung, den Kreis der Teilnehmenden des Meetings zu definieren und den Ablauf vorzubereiten. Aus Erfahrung können sich die Themen und der Umgang mit Herausforderungen massiv verändern, je nach Konstellation der Teilnehmenden. Bei einer offenen und gelebten Kultur ist es empfehlenswert, den Kreis zu öffnen. Muss diese Kultur zuerst noch aufgebaut werden, empfiehlt es sich, den Kreis der Teilnehmenden stufenweise zu erweitern.

3  Erteilen der Aufträge – Vorbereiten des Meetings – kommunizieren der Erwartungen
Erwartungen können nur erfüllt werden, wenn sie allen bekannt sind. Hier ist entscheidend, dass alle Teilnehmenden im Vorfeld des Meetings über die notwendigen Informationen verfügen und sich im Klaren sind, welcher aktiver Beitrag von Ihnen erwartet wird. Wenn beim Start alle wissen, mit welchen Resultaten wir aus dem Meeting gehen möchten, bedeutet dies eine substanzielle Steigerung der Effizienz und Qualität.

 

 

Diskussion moderieren und leiten

 

 Verantwortung nehmen – den richtigen Pass spielen!

 

Die wichtigste Frage stellt sich hier immer:

Übernimmt einer der Eigentümer den Lead und führt durch das Meeting oder wird diese Aufgabe einem externen Spezialisten übertragen? Alle Varianten sind möglich und sinnvoll. Es gibt hier weder eine richtige oder falsche Vorgehensweise. Aus der Praxis haben sich die folgenden Entscheidungskriterien für die Moderation als wertvoll gezeigt:

  • Verfügen wir intern über das notwendige Wissen und die Erfahrung, damit wir in diesem Meeting die Ziele des Eigentümers erreichen können?
  • Kann und will sich der interne Moderator die notwendige Zeit nehmen?
  • Können und werden sich alle Teilnehmer aktiv und kritisch einbringen, wenn «der Chef» persönlich durch das Meeting führt?
  • Erlauben die unausgesprochenen Tabuthemen, dass ein offener und kritischer Dialog stattfinden kann?

Lediglich ein Meeting einzuberufen, ergibt noch keinen substanziellen Mehrwert. Je strukturierter und präziser die Themen angegangen werden, desto höher sind die zu erwartenden Resultate. Eine Einschätzung der Zielerreichung – zum Bespiel auf einer Skala von 1 – 6 nach dem gewohnten Schulnotensystem – zwingt die Teilnehmenden zu präziseren Aussagen.

 

 

Erfolge gemeinsam feiern

 

 

Viele Leader vergessen, Erfolge gemeinsam mit allen Beteiligten zu «feiern». Wertschätzung allein ersetzt keinen Lohn oder eine Erfolgsbeteiligung. Die Kombination von Wertschätzung inklusive fairer Kompensation kann zu einer positiven Dynamik in der Unternehmung führen. Täuschen Sie sich nicht, auch hochprofessionelle Verwaltungsräte oder Geschäftsleitungsmitglieder schätzen es ausserordentlich, wenn ihre Leistung gesehen und geschätzt werden.

 

Welches Fazit können wir aus der Erfahrung und den Erkenntnissen ziehen?

 

Die Investition zahlt sich immer mehrfach aus!

 

a)  Die «Investition» in die Durcharbeitung und Analyse der Resultate der nicht delegierbaren Aufgaben des Verwaltungsrates zahlt sich in jedem Fall aus. Allein die Tatsache, dass diese kritische Würdigung der Arbeit des Verwaltungsrates stattfindet, löst viele positive Effekte aus.

b)  Je ausgeprägter die Kultur der offenen und kritischen Diskussion in einer Unternehmung ist, desto positiver ist der Effekt aus der systematischen Analyse und Diskussion.

c)  Je professioneller und visueller das Erreichen der gesteckten Ziele kontrolliert werden kann, desto konkreter wird die Diskussion geführt. Die eingesetzten Tools sollten erlauben, immer eine übergeordnete Beurteilung in einem bestimmten Bereich zu ermöglichen. Diese Beurteilung setzt sich aus verschiedenen konkreten Detailbetrachtungen zusammen.